Heute ist im Südtiroler Landtag die Bürgerbeteiligungsphase des Autonomiekonvents mit großem öffentlichen Interesse eröffnet worden.
Landtagspräsident Dr. Thomas Widmann begrüßte die Anwesenden und verortete den Autonomiekonvent und seine Ziele im Rahmen der Bemühungen Südtirols um mehr Selbstverwaltung: „Unser Autonomiestatut ist seit 1948 in Kraft und wurde damals von einer Handvoll Politiker ausgearbeitet – hinter verschlossenen Türen. Es waren andere Zeiten, auch das Demokratieverständnis der Bürger war ein anderes. In den vergangenen Jahren ist das Statut immer wieder überarbeitet, ergänzt und erweitert worden. Heute soll es – im Rahmen des Autonomiekonvents – mit Beteiligung aller 500.000 Südtiroler den neuen gesellschaftlichen Gegebenheiten angepasst werden.“ Man habe bewusst den Weg der Bürgerbeteiligung gewählt. „Wir wollen damit politische Partizipation anbieten und auf das stark veränderte Demokratieverständnis und politische Bewusstsein der Bürger reagieren. Die demokratische Legitimität des Autonomiestatuts soll gestärkt werden. Regieren nach dem Mehrheitsprinzip stößt nämlich immer mehr an seine Grenzen“, bekräftigte der Landtagspräsident. Es gelte, neuen Herausforderungen zu begegnen: „Seit 1972 hat sich Südtirol wirtschaftlich, demographisch und politisch erheblich verändert. Daher müssen große Teile des Zweiten Autonomiestatuts von 1972 aktualisiert werden. Dies um aktuelle Themen und Herausforderungen anzugehen, die auf lokaler (z.B. Bildungspolitik, grenzüberschreitende Zusammenarbeit), regionaler (z.B. die Rolle der Region und die Rolle der Gemeinden), nationaler (z.B. Finanzautonomie und die Zukunft der Regionen mit Sonderstatut in Italien) und europäischer Ebene (z.B. Auswirkungen der Europäisierung auf die Südtiroler Governance und Südtirols Rolle in der Alpinen Makroregion) beobachtet werden können. Wir laden die Bevölkerung ein, ihre Vorstellungen zur Zukunft des Landes einzubringen – Südtirol mitzudenken. Was ist heute gut? Was soll morgen anders sein? Welche Vorstellungen haben wir von unserer Zukunft?“
Auch Landeshauptmann Arno Kompatscher unterstrich die Chance, die der Südtirol-Konvent dem Land bietet: „Bei meinem ersten Treffen mit dem damaligen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano hat er mir gesagt, ich solle immer daran denken, dass Südtirols Autonomie eine besondere unter den besonderen Autonomien sei.“ Diese gelte es nun den aktuellen Gegebenheiten und Anforderungen anzupassen: „Es hat sich seit 1972 besonders auf europäischer Ebene vieles geändert: Themen wie jene, die vom Schengen-Abkommen geregelt sind, oder makroregionale Strategien werden vom Autonomiestatut nicht abgedeckt. Im Autonomiestatut wird Europa mit keinem Wort erwähnt. Wir sind in Südtirol aber ständig damit befasst. Das muss sich auch im Statut niederschlagen.“ Auch auf staatlicher Ebene habe sich sehr viel verändert. „Nach der Verfassungsreform 2001 hat es große Veränderungen in den Beziehungen zwischen den Regierungsebenen gegeben.“ Das schlage sich auch in vielen Entscheidungen des Verfassungsgerichts nieder, die in jüngster Zeit vermehrt zu Ungunsten Südtirols ausgefallen seien. „Das Statut hätte schon 2001 überarbeitet werden sollen. Diesen Missstand wollen wir nun beheben und Verlorengegangenes zurückzuholen.“ Der Landeshauptmann kam auch auf die jüngste Verfassungsreform der Regierung Renzi zu sprechen: „In die zentralistisch ausgelegte Reform der Regierung Renzi ist ausdrücklich eine Schutzklausel eingefügt: Das Autonomiestatut kann nur im Einvernehmen mit den betroffenen Regionen abgeändert werden. Die Zustimmung Südtirols ist also für eine Reform erforderlich.“ Auch völkerrechtliche Verpflichtungen müssten eingehalten werden. „Diese Verpflichtungen gelten nach wie vor“, unterstrich Kompatscher. „Uns bietet sich jetzt die Gelegenheit, offensiv zu werden und klar zu machen, welche Zukunftsperspektiven wir Südtiroler für unser Land wollen.“ Es gehe nicht allein um das Akquirieren neuer Kompetenzen: „Es geht um Weiterentwicklung insgesamt.“ Aus diesem Grund sei aktive Bürgerbeteiligung für den Prozess so entscheidend. „Es ist nicht die Autonomie der Politik oder einzelner Parteien, sondern die der Bürger. Es ist unsere Autonomie, unser Weg in die Zukunft“, sagte der Landeshauptmann. Zum einen sei die Reform nötig, um rechtlichen Notwendigkeiten Rechnung zu tragen; doch auch solche gesellschaftlicher Natur machten eine Überarbeitung unumgänglich. „Es geht darum, sich bewusst zu werden, welchen Wert die Autonomie hat“, unterstrich Kompatscher.
Landtagsvizepräsident Roberto Bizzo erklärte im Anschluss die verschiedenen Phasen des Autonomie-Konvents: „Den Auftakt des Südtirol-Konvents bilden neun öffentliche Veranstaltungen, die ab dem 23. Jänner stattfinden, die so genannten Open Spaces. Sie werden über das ganze Land verteilt in verschiedenen Südtiroler Städten und Dörfern angeboten. Ziel der Open Spaces ist es, den Diskussionsprozess zum Südtirol-Konvent in Gang zu setzen und die Ideen der Bürger einzuholen. Bei den Open Spaces kann jeder Interessierte in informellem Rahmen seine Fragen zur Autonomie und seine Wünsche für die Zukunft Südtirols einbringen. Sie dienen dem Konvent der 33 in der Folge als Arbeitsgrundlage.“ Der Konvent der 33, so Bizzo weiter, sei eines der beiden Gremien des Autonomiekonvents. „Den Südtirol-Konvent bilden zwei sich ergänzende Gremien: Das erste ist das Forum der 100, das Gremium der Bürger. Jeder Südtiroler ab 16 Jahren ist eingeladen, sich dafür zu bewerben. Unter allen Bewerbungen werden mittels einer geschichteten Zufallsstichprobe 100 Personen ausgewählt. Sie bilden das Forum der 100, werden regelmäßig tagen und die Arbeiten des Konvents aktiv begleiten. Im zweiten Gremium, dem Konvent der 33, arbeiten Experten aus Politik, Wissenschaft und der organisierten Zivilgesellschaft. Das Forum der 100 entsendet außerdem acht seiner Mitglieder in den Konvent der 33. Forum und Konvent werden eng zusammenarbeiten.“
Die Europäische Akademie Bozen (EURAC) begleitet den Autonomiekonvent mit wissenschaftlicher Expertise. Elisabeth Alber vom Institut für Föderalismus- und Regionalismusforschung der EURAC setze den partizipativen Prozess des Autonomiekonvents in einen wissenschaftlichen Rahmen, indem sie ihn in den Kontext vergleichbarer Prozesse stellte, die auf europäischer Ebene bereits vollzogen worden sind: „Partizipative Prozesse wie der Südtirol-Konvent sind als Ideenwerkstatt anzusehen.“ Der Konvent reihe sich in die Linie mit Fallbeispielen wie der Überarbeitung der Verfassung von Irland oder Island. „Auch in Italien hat es vor zehn Jahren einen vergleichbaren Prozess gegeben, nämlich in Friaul - Julisch Venetien. „Partizipation kann ein Lösungsansatz für Politikentfremdung sein. Neben der repräsentativen und der direkten Demokratie wird die partizipative immer bedeutender als komplementärer Pfeiler eines modernen Rechtsstaats.“ Dahinter stehe die Erkenntnis, dass Bürger inhaltlich in die Prozesse der Politikgestaltung eingebunden sein wollen. Elisabeth Alber appellierte an alle Südtirolerinnen und Südtiroler, sich der Verantwortung bewusst zu sein, die der Autonomiekonvent biete: „Der Erfolg des Diskussionsprozesses hängt maßgeblich von der Diskussionskultur der Bürger, aber auch von der Politik, den Medien und den Interessensverbänden ab.“
Marc Röggla vom Institut für Minderheitenrecht der EURAC stellte den Anwesenden im Anschluss die Webseite des Autonomiekonvents (www.konvent.bz.it/www.convenzione.bz.it/www.convenziun.bz.it) vor. Auf dieser werden alle Akte, Dokumente und Ergebnisse des Prozesses publiziert. Auch können sich dort mittels eines Registrierungsformulars alle Südtirolerinnen und Südtiroler ab 16 Jahren für die Teilnahme im Forum der 100, dem Bürgerforum des Autonomiekonvents, bis zum 6. März 2016 bewerben. Außerdem bietet die Seite ein interaktives Online-Diskussionsforum, in dem jeder nach erfolgter Registrierung selbst Diskussionsbeiträge veröffentlichen und kommentieren kann. Marc Röggla: „Die Webseite ist ein sehr wesentlicher Baustein des Autonomiekonvents. Die Bürgerinnen und Bürger finden auch alle relevanten Informationen auf den Social Media Kanälen, sprich Facebook und Twitter“.