Allgemeine Einführung:
Bevor ich das Konzept und die existierenden Ansätze der Gemeinwesenökonomie (Community Economy) erkläre, möchte ich darauf eingehen, warum weltweit dieser Ansatz an Bedeutung gewinnt: Die Analyse der derzeitigen historisch-politischen Epoche spricht von unserer Zeit als Epoche der Wachstumswende. Die Erkenntnis wächst, dass es auf einem begrenzten Planeten kein grenzenloses Wachstum geben kann (Bericht des Club of Rome: Die Grenzen des Wachstums, Dennis und Donella Meadows 1972). Die derzeit kumulierenden ökonomischen, ökologischen und sozialen Probleme, insbesondere die deutlich werdenden Folgen des Klimawandels, machen die Notwendigkeit einer tiefgreifenden gesellschaftlichen Transformation immer deutlicher (der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung „Globale Umweltveränderungen“ (WGBU) spricht vom Zeitalter der Großen Transformation: Welt im Wandel. Berlin 2011). Dabei zeigt sich, dass die für diese Transformation notwendigen Orientierungen, Akteure und Institutionen, insbesondere aber die Wirtschaftsweise nicht die sein können, die zur multiplen Krise mehr beitragen als zu deren Lösung. Eine ökosoziale Transformation erfordert tiefgreifende Veränderungen im Umgang mit materiellen und nichtmateriellen Ressourcen, der persönlichen Lebensführung, der Kultur, Politik und Wissenschaft und sie erfordert eine Einbettung wirtschaftlichen Handelns in die Lebenszusammenhänge. Die immer deutlicheren Folgen des Marktversagens, der Naturmissachtung und der sozialen Gleichgültigkeit stärken gesellschaftliche Strömungen, die alternative Vorstellungen von Wohlfahrt und einem guten Leben vertreten. Die wachsende Kritik an der Externalisierung sozialer und ökologischer Effekte erklärt das sprunghafte Ansteigen ökosozialer Ökonomien und das Interesse an alternativen Wirtschafts- und Lebenskonzepten, die den sozialen und ökologischen Erfordernissen Rechnung tragen. Sie sind Gegenentwürfe zur industriellen Moderne, die im Glauben an technische Machbarkeit und grenzenloses Wachstum realisiert wurden. Mit den Grenzen des Wachstums ist eine Perspektive der Endlichkeit in den stetigen Fortschritt eingezogen, die dem modernen Denken fremd, ja geradezu ungeheuerlich ist (Leggewie, C./Welzer, H. 2009, S. 10). Der Horizont des 21. Jahrhunderts ist bestimmt von der Revision der Vorstellungen der industriellen Moderne. Es geht um Antworten auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts: Klimawandel, das Ende der fossilen Energie, wachsende Armut und Arbeitslosigkeit, technologieinduzierte Risiken oder die Erfordernisse der veränderten demographischen Lage. Diese Herausforderungen verlangen einen effektiveren und geringeren Ressourcenverbrauch, die Wiederverwendung materieller Ressourcen, die Rückbesinnung auf kleinere Maßstäbe in Bezug auf organisatorische Einheiten, Re-Lokalisierung und die Adaption sozialer und ökologischer Effekte wirtschaftlicher und technologischer Entwicklungen. Eine Schlüsselfunktion kommt der Gestaltung der Arbeitswelt im lokal-regionalen Kontext zu. Es geht um neue Formen der Organisation und Verteilung von Erwerbsarbeit sowie die Förderung lokaler Wertschöpfung durch die Verbindung von lokaler Produktion und lokalem Konsum, um die systematische Verknüpfung von Bedürfnissen und Potenzialen, lokal-regionale Netzwerke oder Primärund Sekundärgenossenschaften zur Sicherung und Bewirtschaftung von Gemeingütern. Und damit sind wir bei der Gemeinwesenökonomie.
1. politische/institutionelle Rahmenbedingungen:
Welche Ziele verfolgt die Gemeinwesenökonomie? Welche Kompetenzen sind notwendig, um Gemeinwesenökonomie umzusetzen? Wie können in einem neuen Autonomiestatut normative Grundsätze verankert werden, die institutionenübergreifend Geltung finden? Macht es aus Ihrer Sicht Sinn Kompetenzen nach gemeinwesenorientierten Gesichtspunkten zusammenzufassen und in welchen Bereichen wäre dies sinnvoll? (z. B. Raumordnung, regionale Landwirtschaft, Marktrecht, Reparaturhandwerk ...).
Gemeinwesenökonomie bezieht sich, wie der Name sagt, auf das Gemeinwesen. Unter diesem Begriff verstehen wir die materiellen und nicht materiellen Grundlagen des Zusammenlebens in einem Territorium und die Bewirtschaftung dessen was allen dient und den sozialen Zusammenhalt (soziales Kapital) fördert. Der Begriff Gemeinwesen nimmt Bezug auf das so genannte „Gemeine Eigene“, das Gemeinwohl und die Vorstellung, dass Menschen innerhalb einer territorialen Einheit Zugang zu den wesentlichen Grundlagen des Lebens, z. B Wasser, Boden, Luft, Wohnung, eine befriedigende Arbeit, Nahraumversorgung etc. sowie des Zusammenlebens, z.B. Bildung, Sozial- und Gesundheitsdienste, Wissen, demokratische Regeln etc., haben. Die Organisation des Gemeinwesens vollzieht sich, so die Idealvorstellung, in räumlichen Grenzen in denen Menschen aktiv an eigenen und gemeinsamen Belangen mitwirken können.
Gemeinwesenökonomien sind also lokalisierte Formen des Wirtschaftens in unterschiedlichen Kontexten und Organisationsformen, z.B. in Kooperativen, Kleinbetrieben, Subsistenzansätzen, dualwirtschaftlichen Formen, Gemeinschaftsnutzung etc. Wirtschaften wird verstanden in seiner Gesamtheit (oikos) und als ein zentraler Bereich sozialen Handelns. Die (Re-) Lokalisierung dessen, was für die Versorgung der Bevölkerung und die Sicherung der Lebensqualität vor Ort entscheidend sind, ist nach Überzeugung der bekanntesten Vertreter zukunftsorientierter Gesellschaftsentwürfe eine zentrale Voraussetzung nachhaltiger Entwicklung. Der Ökonom Niko Paech geht in seiner Analyse der Postwachstumsgesellschaft davon aus, dass ca. 60 % des gesamten wirtschaftlichen Bereiches in einer zukunftsfähigen Gesellschaft regional, kooperativ und in Kreisläufen strukturiert sein wird.
Der Lokalisierung als dem zentralen Schritt zur Zukunftssicherung stimmen auch bekannte Vertreter der herkömmlichen Wirtschaftswissenschaft wie z.B. der Wirtschaftsnobelpreisträger und ehemalige Chefökonom der Weltbank, Joseph Stiglitz zu. Er, der vor zwei Jahrzehnten Deregulierung und Weltmarktorientierung als Lösungen vertrat, fordert heute die Lokalisierung von bedarfsorientierten Basisökonomien und eine stärkere politische Regulierung der Weltmärkte.
Gemeinwesenökonomie ist also ein Gegenentwurf zur reinen Weltmarkt- und Exportorientierung damit auch zu wirtschaftlichen Mono- und unkontrollierbaren Großstrukturen, die globale Abhängigkeiten und krisenhafte Entwicklungen erzeugen. Sie ist nicht neu, sondern setzt mit neuen Vorzeichen bewusst da an, wo gesellschaftlich eingebundenes Wirtschaften immer verortet war, jedoch durch die Wachstumsund Gloablisierungsdynamiken der vergangenen Jahrzehnte geschwächt oder zum Verschwinden gebracht wurde.
Eines der wichtigsten Ziele der Gemeinwesenökonomie ist, wie bereits erwähnt, die stärkere Resilienz und Unabhängigkeit lokaler und regionaler Einheiten von unberechenbaren Weltmarktbedingungen. Konkrete Ansätze der Gemeinwesenökonomie in Südtirol sind z.B. Genossenschaften im Bereich von Handwerk, Landwirtschaft, Nahraumversorgung, Sozial- und Gesundheitswesen, Kreativwirtschaft, lokale Energiegenossenschaften, Netzwerke der Share-Economie, Formen der Direktvermarktung, Gemeinschaftsgärten, generationenübergreifende Solidarsysteme, Co-Working und Co-Housing, Zeitbanken, ethical banking, Gemeinschaftsnutzungen, soziale Landwirtschaft, kooperative Vermarktungssysteme z.B. in der Biolandwirtschaft und vieles mehr.
Gemeinsam ist ihnen eine kooperative und netzwerkartige Organisationsstruktur (hybride Organisationsformen), die direkte Einbindung in das Gemeinwesen und eine Mischung aus Erwerbsarbeit, Eigenarbeit und bürgerschaftlichem Engagement. Sie zeichnen sich durch flache oder mangende Hierarchien und demokratische Entscheidungsstrukturen aus. Dies bedeutet auch Verantwortungsteilung und damit, wie zahlreiche Untersuchungen der 1980er – 1990er Jahre zeigen, eine höhere Krisen Resilienz.
Sie entstehen meistens im Kontext zivilgesellschaftlicher Zusammenschlüsse und sind nahe an den Bedürfnissen und Optionen der örtlichen Bevölkerung. Sie folgen alleine deshalb einer anderen Logik als herkömmliche Unternehmen, die nur aufgrund von Gewinnerwartungen gegründet werden. Erwirtschaftete Gewinne werden vielfach reinvestiert bzw. zugunsten des Gemeinwesens verwendet, wie die Energiegenossenschaft Passeiertal zeigt.
Gemeinwesenökonomien reagieren auf konkrete Bedarfslagen oder Möglichkeitsstrukturen und entwickeln maßgeschneiderte lokale Lösungen. Sie eröffnen Möglichkeiten der Wirtschaftskreisläufe (Richard Douthwaite: Short Circuits) und bilden nicht selten Brutkästen für weitere Optionen. So sind 3 beispielsweise Co-Working Optionen wirksame Startkonditionen für junge Selbständige, in Sozialgenossenschaften können Menschen mit besonderen Bedürfnissen ein hohes Maß an Selbstbestimmung erlangen oder durch kooperative Lobby- und Vermarktungssysteme kann innovativen NischenproduzentInnen der Durchbruch gelingen. Die Potenziale dieses Sektors sind zur Gestaltung der Zukunft Südtirols noch nicht erschöpft. Insbesondere zur Sicherung bezahlbaren Wohnraums in den Städten, zur Bewältigung der veränderten Demographie, zur innovativen Gestaltung des Sozialwesens, zur Gewährleistung von Mobilität und Nahraumversorgung im ländlichen Bereich, zur erhaltenden Nutzung und Gestaltung der Natur- und Kulturräume sowie zur Bewirtschaftung der Infrastruktur, sollte auf Gemeinwesenökonomische Ansätze zurück gegriffen werden. Folgende Aspekte sollten zur Gestaltung eines neuen Autonomiestatuts überdacht werden:
• Die Entfaltung eines Gemeinwesenökonomischen Basissektors setzt voraus, dass die Bereiche, die für die Versorgung und die Lebensqualität der lokalen Bevölkerung entscheidend sind (insbesondere Wohnen), teilweise dem Marktmechanismus, der Privatisierung und der Spekulation entzogen werden. Die geringen noch verfügbaren Nutzungsflächen in den Städten und ihrer unmittelbaren Umgebung muss dringend gegen weitere Zersiedlung geschützt werden.
• Gerade in periphere ländlichen Regionen sollte zu Erhaltung und Schaffung einer Gemeinwesenorientierten Infrastruktur und Versorgung die Möglichkeit der Cooperative di Comunità unter Einbeziehung relevanter Stakeholder genutzt werden.
• Eine langfristige Perspektive in der Politik, die immer noch stark in Wahlzyklen, „schnellen Erfolgen“ und dem Bedienen von Lobbygruppen denkt und noch immer quantitatives Wachstum verspricht, wäre zugunsten der nachhaltigen Sicherung der natürlichen, kulturellen und sozialen Lebensgrundlagen des Landes zu überdenken. Es geht z.B. um die Erhaltung der einzigartigen Ressourcen Südtirols, bei allen Entscheidungen, die sich auf Landschaftsgestaltung, Biodiversität und Landnutzung auswirken. Das Ausbringen von Gülle bis in hohe Lagen, die Schaffung von Apfelmonokulturen, die Behandlung mit Pestiziden oder die Übernutzung von Böden durch Maisanbau stehen der Zukunft des Landes entgegen.
• Eine Fixierung auf Tourismus und Verwertung der Natur- und Kulturressourcen und der öffentlichen Räume, führt leicht dazu, dass Interessen des Gemeinwesens zweitrangig werden. Es droht aber auch eine Entwicklung, die das, was Touristen an Authentizität in Südtirol suchen, verschwindet, bzw. zum alpinen Disneyland transformiert wird.
• Bei öffentlichen Investitionen sollten die Spielräume der Vergabeordnung ausgeweitete und zugunsten Gemeinwesen-orientierter Aspekte konsequent genutzt werden, um örtlichen Anbietern den Vorzug zu geben. Alle öffentlich geförderten Vorhaben sollten einem öko-sozialen Kriterienkatalog unterzogen werden.
2. wirtschaftliche Rahmenbedingungen:
Welche wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gilt es für Gemeinwesen-orientierte Konzepte zu schaffen (Bürgerhaushalt, regionale Währung, Vorbild 5/1000 für einen Gemeindehaushalt 20 %?, Kurabgabe als selbstverwaltetes Kulturbudget, soziales Stundenkonto, wären Negativkriterien in öffentlichen Finanzen für Öl, Waffen, etc. sinnvoll, um Geldmittel für Gemeinwesen orientierte Projekte zu lukrieren?
Die besonderen Effekte und die spezielle Logik der Gemeinwesenökonomie muss zunächst mal verstanden werden um nicht in Konflikten um „Wettbewerbsverzerrung“ und ähnlichen Missverständnissen zu erstarren. Gemeinwesenökonomien bemessen sich nicht nach rein einzelbetriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten, sondern nach gesamtgesellschaftlichen Gesichtspunkten, die sie benennen und nachweisen müssen.
Soll ein lebendiges Gemeinwesen entstehen, welches auch eigenständige Lösungsvorschläge macht bzw. diese realisiert, dann bedarf es nicht nur aber auch, eigenständig durch die Bürgerinnen und Bürger zu nutzende wirtschaftliche Mittel. Es gibt seit vielen Jahren Beispiele die zeigen, welcher Mehrwert durch Bürgerhaushalte und die konsequente Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern erzielt werden kann. Seit den 1980 Jahren machen zahlreiche Städte und Gemeinden Erfahrungen mit dem Instrument Bürgerhaushalt als demokratisches Entscheidungsinstrument über zumindest einen Teil der frei verfügbaren Mittel ihrer Kommune. Das fördert Transparenz, verhindert Korruption und erhöht die Akzeptanz der Entscheidungen, die von einer breiten Basis der Bevölkerung verhandelt und empfohlen wird. Diese Aushandlungsprozesse sind wertvolle Instrumente der demokratischen Bildung. Sie ermöglichen mitunter auch bessere Lösungen, die ohne die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern nicht zustande gekommen wären.
Die Höhe des monetären Anreizes zur Förderung Gemeinwesen orientierter Aktivitäten ist mitunter nicht entscheidend. Zentral ist in vielen Fällen die damit verbundene Aufforderung zum Tun. Es macht z.B. Sinn, Vereinen oder Initiativen Projektgeld für konkrete kleinere Vorhaben zu geben um Innovationen in Gang zu setzen und zu zeigen, dass Bürgerengagement gewünscht ist. Ein Beispiel ist das deutsche „LOS“ (lokales Kapital für soziale Projekte).
3.gesellschaftliche Rahmenbedingungen:
Eine funktionierende Gemeinwesenökonomie braucht engagierte Bürger aus der Zivilgesellschaft. Nur durch Selbstbemächtigung, Selbstbefähigung, Hilfe zur Selbsthilfe, Subsidiarität, Selbst- und Mitbestimmung der BürgerInnen kann diese verwirklicht werden. Welche Maßnahmen können dazu dienen BürgerInnen im Bereich der Gemeinwesenökonomie zu fordern und zu fördern? Wie können gesellschaftliche Forderungen nach hochwertiger sozialer und gesundheitlicher Versorgung in das Prinzip der Gemeinwesenökonomie integriert werden?
• Eine funktionierende Gemeinwesenökonomie braucht engagierte Bürger aus der Zivilgesellschaft. Nur durch Selbstbemächtigung, Selbstbefähigung, Hilfe zur Selbsthilfe, Subsidiarität, Selbst- und Mitbestimmung der BürgerInnen kann diese verwirklicht werden. Welche Maßnahmen können dazu dienen BürgerInnen im Bereich der Gemeinwesenökonomie zu fordern und zu fördern? Wie können gesellschaftliche Forderungen nach hochwertiger sozialer und gesundheitlicher Versorgung in das Prinzip der Gemeinwesenökonomie integriert werden?
• Nicht erst seit „Stuttgart 21“, dem Benco-Projekt oder der Brixener Seilbahn wird deutlich, dass Bürgerinnen und Bürger insbesondere bei Großprojekten das Entscheidungsfeld nicht mehr der gewählten Politik und einzelnen Interessengruppen überlassen. Die Entstehungs- und Folgekosten solcher Vorhaben werden intensiv und kontrovers diskutiert. Dahinter steht die Erkenntnis der BürgerInnen, dass solche Vorhaben oft Leitbildern längst vergangener Zukünfte entsprechen. Wenn BürgerInnen in die wirklich offenen Entscheidungen über Großprojekte nicht einbezogen werden, zeigt sich heute eine kompetente (widerständige) und engagierte Zivilgesellschaft, die „BastaEntscheidungen“ nicht mehr akzeptiert. Dies hat auch eine Studie des deutschen Architektentages vor ca. drei Jahren nachgewiesen
. • Das sicherlich interessanteste Referenz-Beispiel für Südtirol, ist das der Bürgergemeinde Weyarn am Irschenberg, welches vor mehr als 25 Jahren initiiert wurde. Die langjährigen Erfahrungen und die Lernschritte aller Beteiligten, insbesondere in Politik und Verwaltung, sind sehr gut dokumentiert und reflektiert und es wäre zu empfehlen, den langjährigen Bürgermeister Michael Pelzer zu einer Beratung nach Südtirol einzuladen.
• Gerade im Sozial- und Gesundheitswesen sind innovative und partizipative Ansätze notwendig und möglich, die den Prinzipien der Subsidiarität und Selbsthilfe entsprechen. Südtiroler Menschen mit besonderen Bedürfnissen äußern klar, dass sie keine Betreuung, sondern Begleitung wünschen. Stationäre Einrichtungen der Altenpflege sind wichtig, doch sie sind weder gesellschaftlich bezahlbar noch von den meisten älteren Menschen als Lebensform erwünscht.
• Zu empfehlen sind Workshops in den Gemeinwesen, um das Bewusstsein für die veränderte Demographie und die damit verbundenen Herausforderungen aber auch positiven Möglichkeiten zu diskutieren (ich stehe gerne zur Verfügung). Das Gebiet Zürich Oberland ist vor Jahre diesen Weg gegangen und hat in Partizipationsprozessen sehr spezifische Lösungen für die verschiedenen Gegebenheiten entwickelt. In Südtirol befassen sich die Stadt Klausen und das Villnößtal seit geraumer Zeit mit diesen Fragen.
4. Bedingungsloses Grundeinkommen oder Mindestsicherung als wirtschaftliche Grundlage zu sozialer Teilhabe?
Welche Vorraussetzungen brauchen Gesellschaften, die ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen wollen? Kann ein bedingtes Grundeinkommen (für Mütter, Studenten; Auszubildende etc., Alternative zu Pensionssystem) eine Übergangslösung darstellen? Wie würde die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens das Gemeinwesen und die Arbeitswelt verändern?
• Seit mehr als 30 Jahren haben wir Diskussionen um die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Es ist wichtig, diese Diskussion in den Kontext des Strukturwandels der Arbeitsgesellschaft zu stellen. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit einem umfassenden Arbeitsbegriff, der die ganze Arbeit und nicht nur die marktvermittelte Erwerbsarbeit umfasst. Die Gesamtheit der gesellschaftlich notwendigen und sinnvollen Arbeit (Familienarbeit, Subsistenzwirtschaft, Bürgerschaftliches Engagement, Bildungsarbeit, soziale Experimente.) muss also in diese Diskussion einbezogen werden. Dann wird klar, dass das bedingungslose Grundeinkommen nicht nur der Abfederung der zunehmend brüchig werdenden Erwerbsarbeitsverläufe, sondern der Erschließung all der Tätigkeiten und Potenziale dient, die in unseren Gesellschaften zu kurz kommen. Der Gesellschaftsphilosoph Andrè Gorz spricht in diesem Zusammenhang von der multiaktiven Tätigkeitsgesellschaft, die durch ein bedingungsloses Grundeinkommen ermöglicht wird. Dies ist auch die Basis anderer Protagonisten dieses Ansatzes, z.B. Götz Werner, Großunternehmer und Vertreter des bedingungslosen Grundeinkommens, der darin die Voraussetzung der Befreiung von Menschen für kreative und notwendige gesellschaftliche Neuorientierungen und für die Entfaltung von Unternehmergeist (Entrepreneurship) sieht. Zentral ist das Klima der Normalität, welches mit diesem Anspruch verbunden wäre, denn alle Sozialhilfeleistungen implizieren subtile Entwertungsmechanismen die einer Emanzipation und Selbstbestimmung entgegenstehen.
• Erste mögliche Umsetzungsschritte bestehen in bedingten Formen des Grundeinkommens für die oben genannten Gruppen. Auch das österreichische Instrument der Bildungskarenz ist ein realisierbarer Schritt, der Menschen erlaubt, sich neu aufzustellen. Darüber hinaus sind Überlegungen zum Lebensarbeitszeitmodell ein Schritt in die richtige Richtung.
5. Was sind die Herausforderungen der Sozial-, Arbeitspolitik der Zukunft und Bewältigung der veränderten Demografie?
Welche politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen und Kompetenzen sind notwendig um leistbares Wohnen zu garantieren? Sollte Wohnen als Grundwert in der Präambel des Autonomiestatuts verankert werden? Der begrenzte Wohnraum stellt nördliche und südliche Nachbarn vor ähnliche Problemstellungen. Könnte die Euregio Tirol mit Kompetenz Immobiliensteuern, Bau- und Mietrecht, Leerstandsabgabe oder Spekulationsverbot im Immobiliensegment u. ä. aus Ihrer Sicht eine geeignete politische Körperschaft in diesem Bereich darstellen?
• Südtirol hatte sich mit seiner offenen Plattform „Cultura Socialis“ eine Möglichkeit der ständigen Innovation im Bereich der Kultur des Sozialen geschaffen. Diese Initiative sollte mit neuen Vorzeichen und als Diskussionsplattform wieder entstehen.
• Im Sozial- und Gesundheitswesen sollten die außergewöhnlichen Möglichkeiten des Südtiroler Genossenschaftswesens genutzt werden. Sie können wirkliche Subsidiarität gewährleisten und neue Mischungen von Erwerbsarbeit und bürgerschaftlichem Engagement bieten. Um jedoch einen Mehrwert zu erzielen, Mitnahmeeffekte und Verdrängungswettbewerb zu verhindern, sollte eine unabhängige, an klaren Qualitätskriterien orientierte Kontrolle und auf Anbieter- übergreifende Netzwerke geachtete werden. Alle Einrichtungen des Sozial- und Gesundheitswesens müssen eine jährliche Berichterstattung auf der Basis zu definierender Kriterien leisten.
• Bezahlbarer Wohnraum sollte als Grundwert verankert werden. Dazu müssen Instrumente wie Spekulationsverbot, Leerstands- und Fehlbelegabgaben, projektbezogene Wohnbauförderung und insbesondere genossenschaftliche Wohnmodelle geprüft werde.
• Zur Sicherung von bezahlbarem Wohnraum in den Städten bedarf es der Einführung von Wohnungsgenossenschaften mit ungeteiltem Eigentum. Wohnungsgenossenschaften dieses Typs gewährleisten die soziale Durchmischung der Städte, erhalten bezahlbaren Wohnraum und sind, wie zahlreiche deutsche Studien zeigen, Garanten einer sozialen Stadtentwicklung.
• Der Aufbau von Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben im Alter nach dem Beispiel des „Bielefelder Modells“ oder des Münchener Ansatzes „Wohnen im Viertel“, lässt sich nur Gemeinwesen-basiert realisieren. Es geht um Barrierefreiheit im Wohn- und Wohnumfeldbereich, um genossenschaftliche Wohnungen, um haushaltsnahe und personenbezogene Dienstleistungen im Gemeinwesen, um soziale und kulturelle Einbindung, um Nahraumversorgung, einen Pflegestützpunkt und ggf. Pflegewohnungen, (diese durchaus vergleichbar mit dem Sterzinger Modell). Diese Ansätze basieren auf einem guten Zusammenspiel zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen Kräften sowie pflegender Angehöriger und sie sind netzwerkartig und sozialräumlich organisiert und im Lebensalltag verankert.
• Ebenfalls als Antworten auf die Herausforderungen der alternden Gesellschaft sind Zeitbanken (Südtirol hat bereits 17!) in Verbindung mit Seniorengenossenschaften zu betrachten Im Gegensatz zu herkömmlichem freiwilligem Engagement, schaffen zeitbasierte Systeme neue Formen der Reziprozität und die Beteiligten arbeiten im Sinne des Bürgerschaftlichen Engagements an einer eigenen und gleichzeitig gemeinsamen Sache. Auch zu diesem Ansatz gibt es langjährige, reflektierte Erfahrungen.
• Die Frage der sozialkulturellen und insbesondere der sozialökonomischen Integration von Migranten muss zu einem zentralen gesellschaftspolitischen Thema gemacht werden. Gerade für solche Ansätze der Integration eignen sich Formen der Gemeinwesenökonomie in denen berufliches und soziales Lernen mit Arbeitsintegration verbunden wird.
• Als Möglichkeit der Entwicklung innovativer Arbeitsplätze sollten Co-Working-Spaces gefördert werden. In den Gemeinden sollten Optionen der Eigenarbeit (z.B. Gemeinschaftsgärten, Reparaturcafés, Zeitbanken etc.) und der informellen Nachbarschaftshilfe (insbesondere im intergenerativen Kontext), Gemeinschaftsnutzung und Share Economy gefördert werden.
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von Prof. Susanne Elsen Freie Universität Bozen Quelle: http://www.konvent.bz.it/sites/default/files/atoms/files/ag_06_prof._dr....
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